Wikipedia: Quo vadis?

Schon seit Jahren gibt es einen Trend in der (deutschen) Wikipedia, der sich gegen eine wichtige Regel des Web2.0 wendet: wo man sich andernorts über user-generierte Inhalte und Zuwächse bei den Mitgliederzahlen freut, da passiert in der Wikipedia genau das Gegenteil: neue User und neue Inhalte werden von den alten Platzhirschen mit Argwohn beäugt und auf Distanz gehalten. Da wundert es nicht, dass Golem vor zwei Monaten berichtete "Die aktivsten Wikipedia-Autoren bleiben unter sich".

Die aktuelle Protestwelle, die derzeit durch die Blogosphäre und Twitter schwappt, entbrannte dieses mal an der Löschung des Vereins MOGIS aus der Wikipedia und der darauf folgenden "Überarbeitung" von verwandten Artikeln.
Siehe auch Pandur2000, Fefe und skepticashell.

Aber ich kann auch aus eigener Erfahrung sprechen: vor einigen Jahren hatte ich auch begonnen, Artikel in der Wikipedia zu erstellen, zu ergänzen und zu korrigieren. Viele Artikel sind es dann aber nicht geworden, denn auch wenn ich selbst keine großen Löschprobleme hatte: die merkwürdige Mentalität der Admins war schon damals für eine Newbie-Autor unübersehbar.

Die löschwütigen Admins der Wikipedia berufen sich auf die Relevanzkriterien der deutschen Wikipedia. Diese sind aber nicht nur sehr viel härter, als die der englisch-sprachigen Wikipedia, sondern auch noch sehr viel sinnfreier.

Eine schöne Auflistung der Merkwürdigkeiten der Relevanzkriterien finden sich bei Aggregat7.

Nun fragt sich "Quo vadis, Wikipedia?"

Ich glaube nicht, dass die Wikipedia noch einmal das Ruder herumreißen kann. Denn der Kurs der deutschen WP wird nunmal von den deutschen Admins aka Blockwarten bestimmt. Und die zeigen sich ja seit Jahren uneinsichtig und verweigern sich gegen jegliche sachliche Diskussion und konstruktive Kommunikation. Da können noch so viele User, Jung-Autoren, Blogger etc. dagegen protestieren. Das wird die Situation nicht verbessern, sondern eher verschlimmern.

Meine Prognose für die nächsten Jahre lautet: die Wikipedia bleibt ein wichtiges Nachschlagewerk, aber ihre Bedeutung wird mit und mit schwinden. Bis sie dann selbst irrelevant geworden ist und dort nur noch die 400 Hardcore-Autoren unter sich sind und ihre Grabenkämpfe austragen.

An ihre Stelle wird wahrscheinlich irgend ein neuer Dienst von Google treten. Vieleicht bekommen aber auch Yahoo! und Microsoft mal etwas auf die Reihe (was ich eher nicht glaube). Anderen, schon bestehende Projekten aus dem Bereich der OpenSource räumer ich keine großen Chancen ein, lasse mich aber gerne eines besseren belehren.


    Trackbacks
    Wikipedia: Quo vadis?
    Die Admins der deutschen Wikipedia sorgen seit Jahren für den Abstieg des Nachschlagewerks.
    Weblog: Webnews.de
    Aufgenommen: Okt 20, 12:16

    Kommentare
    #1 MartinM am 10/20/09 um 12:24
    Habe mich gerade mit einem Kollegen unterhalten, der meint, dass schliesslich auch nicht jeder Verein in den "Brockhaus" gehören würde.
    Genau das ist das Problem: die Wikipedia ist keine klassisches Enzyklopedie und kann es m. E. auch gar nicht sein - aber das Leitbild, "der bessere Brockhaus" sein zu wollen, hat sich tief unter den deutschen "Wikipedia-Aktivisten" eingefressen. Ein starkes Streben nach eindeutigen, detailierten Regelungen und "ewiger Gültigkeit", das wohl zur Mentalität des "deutschen Bildungsbürgertums" einfach dazugehört.
    Aus diesem kulturellen Grunde verlaufen die ebenfalls oft erbittert geführten Relevanzsdiskussionen in der englischsprachigen Wikipedia anders.
    #1.1 Ansgar Offermanns am 10/20/09 um 12:43
    Japp. Das Online-Nachschlagewerk, das einst ein Vorreiter des Web2.0 war, noch bevor es den Begriff überhaupt gab, wird hier einem anachronistischem Buchideal unterworfen. Ganz so, als gäbe es noch die Platzknappheit von 1200 Seiten in 24 Bänden.
    #2 Tim 'avatar' Bartel am 10/20/09 um 12:28
    Deine Behauptung "Denn der Kurs der deutschen WP wird nunmal von den deutschen Admins aka Blockwarten bestimmt. Und die zeigen sich ja seit Jahren uneinsichtig und verweigern sich gegen jegliche sachliche Diskussion und konstruktive Kommunikation." kann ich nicht teilen und sie ist auch schlichtweg falsch.

    Wie viele andere Kritiker machst du den Fehler und schreibst über "die Admins" als homogene Gruppe - und kommst auch nicht ohne Nazivokabular aus.

    "Die Admins" sind aber in sich eine inhomogene Gruppe - genau wie die restliche Nutzerschaft der Wikipedia. Innerhalb dieser Gruppe gibt es Meinungsverschiedenheiten, die untereinander ausgetragen werden und ebenso gibt es im Kontakt zu den Nutzern und den "Nicht-Wikipedianern" entsprechend unterschiedliche Erfahrungen.

    In der Vergangenheit gab es häufig Streitereien zwsichen Inklusionisten und Exklusionisten - mal setzt sich die eine Gruppe durch, mal die andere. Das "neueste" beachtete Beispiel ist das Lemma Zensursula... wo sich ganz augenscheinlich nicht die Exklusionisten durchsetzten konnten.
    #2.1 Ansgar Offermanns am 10/20/09 um 12:51
    zum Nazivokabular: ich hab's extra nochmal in der Wikipedia (sic!) nachgeschlagen. Ja, der Begriff kommt ursprünglich aus der Nazi-Zeit (hatte ihn gedanklich in den Osten verfrachtet). Aber Sprache ist nichts statisches, sondern sie ist im ständigen Wandel. Insofern hat sich der Begriff Blockwart auch gewandelt. Steht selbst in der Wikipedia. ;-)

    Aber vieleicht hätte ich besser: Hausmeister-, Beamten- oder Preussen-Mentalität schreiben sollen...

    Und ja: es gibt auch nette Hausmeister und Beamte.

    Genauso gibt es natürlich auch vernünftige Admins in der Wikipedia. Aber solange wie die Inklusionisten und die Exklusionisten sich Grabenkämpfe liefern, wird die Wikipedia m.E. nicht wieder auf einen grünen Zweig kommen.
    #2.1.1 Tim 'avatar' Bartel am 10/20/09 um 01:03
    Hausmeister find ich nett :-)

    Zum letzten Abschnitt: Ich glaube nicht, dass sich das Problem lösen lassen wird. Ich habe da 2006 drüber gebloggt, aber das Thema ist deutlich älter - fast so alt wie die Wikipedia.
    #2.1.1.1 Ansgar Offermanns am 10/20/09 um 01:21
    Hab grad mal nachgeschaut: Anfang 2004 war ich in der WP kurzzeitig aktiv. Da waren die Handlungsmuster unter den Admins aber schon sehr etabliert und ausgereift...
    #3 Sven am 10/20/09 um 12:52
    Kindergarten, das. Ich hab da auch mal mitzuschreiben versucht. Und schnell wieder gelassen. "Mitmachnetz" ist woanders. "Inhomogen"? Nur von innen gesehen, von außen gesehen erscheinen die Unterschiede so klein, dass man sie als ... öhm... irrelevant .... du weißt schon...
    #4 MartinM am 10/21/09 um 10:58
    Ich habe noch mal nachgesehen: Allein das Inhaltsverzeichnis der deutschen Relevanz-Kriterien ist länger als die kompletten englischen Relevanz-Regeln.

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